Kraus als Kapitän untergegangen
Problem der Handballer bei der EM: Spielmacher ist überfordert
Bei der WM 2007 gehörte er zum Allstar-Team, Handball-Deutschland feierte Michael "Mimi" Kraus als den Spielmacher, der das deutsche Team künftig zu vielen Erfolgen führen wird. Spätestens seit der enttäuschenden EM ist endgültig klar: Kraus ist in dieser Rolle überfordert - vor allem im mentalen Bereich.
Von Stefan Klinger
STUTTGART. Nun bricht alles über Michael Kraus (26) herein. Nach dem erneut enttäuschenden Auftritt der deutschen Handballer beim 20:25 gegen Spanien wird er selbst von seinen einstigen Vorbildern, den Mitgliedern der "Goldenen Generation", heftig kritisiert. Schuld am schwachen Abschneiden sei, so die Experten, dass eine Führungspersönlichkeit fehlt. Ein Kopf des Teams. Kurzum: Schuld ist Kraus.
"Er hat als Handballer alle Fähigkeiten, aber nicht die, eine Mannschaft zu lenken oder zu leiten", sagt der frühere Welthandballer Daniel Stephan. Und auch Handball-Punker Stefan Kretzschmar sieht dringenden Handlungsbedarf in Sachen Hierarchie: "Pascal Hens könnte die Kapitänsrolle ausüben." Selbst innerhalb des Teams mehrt sich die Kritik an Kraus. "Die Kapitänsrolle ist für ihn derzeit eher eine Bürde", vermutet Torhüter Johannes Bitter vor dem letzten Spiel der Deutschen am heutigen Donnerstag (16.30 Uhr/ZDF) gegen Tschechien.
Für den Absturz des vor drei Jahren noch als Riesentalent gefeierten Kraus gibt es drei Gründe. Jeder für sich stellt kein unlösbares Problem dar, in der Addition haben sie aber gravierende Folgen. Problem Nummer eins: Der zuletzt sehr verletzungsanfällige Spielmacher kann nicht, wie er will. "Ich bin selbst enttäuscht von meiner Leistung, aber es gibt durch Verletzungen im Moment zu viele Baustellen in meinem Körper", sagt Kraus. Schon vergangenes Jahr quälte er sich bei der WM erst mit einem Muskelfaserriss durchs Turnier, ehe in der Hauptrunde wegen eines Außenbandrisses im Sprunggelenk das endgültige Aus kam. Im Sommer behinderte Kraus eine Knieverletzung. Und auch bei dieser EM plagt ihn wieder eine Verletzung - diesmal macht der rechte Oberschenkel Probleme. Das alles ist auf dem Weg, sich zum Kopf des Teams zu entwickeln, alles andere als hilfreich.
Problem Nummer zwei: Die Verletzungen wirken sich auch deshalb so dramatisch aus, weil es Partyboy Kraus manchmal an der Einstellung zum Profisport fehlt. Aus diesem Grund hat er es schwer, sich als Anführer des Teams zu etablieren. Schon 2008 strich Bundestrainer Heiner Brand den ehemaligen Göppinger vorübergehend aus dem Kader, weil er sich bei der EM in Norwegen alles andere als professionell verhalten hatte. Die richtigen Lehren scheint Kraus indes nicht gezogen zu haben. Rund um Weihnachten nahm er fast täglich nach dem Mittagstraining beim TBV Lemgo die 500 Kilometer lange Reise nach Göppingen auf sich, nur um abends mit den Freunden in der alten Heimat auszugehen. Am nächsten Morgen fuhr er müde wieder zurück. Eine professionelle Vorbereitung sieht anders aus.
Zu allem Überfluss - Problem Nummer drei - muss sich Kraus derzeit auch noch ständig mit den von ihm unvorsichtig und naiv selbst angestoßenen Wechselgerüchten rumärgern. Angeblich liebäugelt er damit, einen Vertrag beim HSV Hamburg oder den Rhein-Neckar Löwen zu unterschreiben. Einen gefestigten Spielmacher wirft das wohl kaum aus der Bahn. Kraus dagegen hat bei der EM die Quittung erhalten - und mit ihm die deutsche Nationalmannschaft.