Ich finde es sehr befremdlich wie hier über das Erreichen des HF geurteilt wird. Ich komme ursprünglich aus der Leichtathletik. Meisterschaften auf den Langstrecken werden gerne mal im Schluss-Spurt gewonnen, weil das Rennen vorher taktisch war. Dann gewinnen auch mal Läufer die von ihren Bestzeiten her deutlich schlechter sind als die absolute Weltspitze. Niemand würde hier auf die Idee kommen das als unverdient zu bezeichnen. Sie haben ihr Potenzial an der richtigen Stelle ausgespielt.
Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.
Zunächst mal ein subjektives Statement: Die deutsche Handball-Nationalmannschaft verfügt jenseits von Wolff und Golla über keinen (gar gestandenen!) Weltklasse-Spieler. Jetzt ein objektives: Sie hat von einem aberwitzigen Turnier-Modus profitiert, der zum Ende von Gruppen- und Hautprundenphase reihenweise wertungslose Spiele produziert hat. Warum hat sie profitiert? Sie steht zum jetzigen Zeitpunkt mit einer Leistung von 4 Siegen, 1 Unentschieden und 2 Niederlagen im Halbfinale. In einem Modus wie im Fußball mit Achtel- und Viertel- vor dem Halbfinale wäre selbiges mit gezeigter Leistung nie und nimmer erreicht worden. Da lehne ich mich aus dem Fenster.
Aber der Vergleich mit den Balltretern ist metaphysisches Jackewiehose. Was zählt ist die knallharte Realität: Es drohen mit nicht unrealistischen Spielverläufen gegen Dänemark und Schweden am Ende 4 Siege, 1 Unentschieden und 4 Niederlagen in der deutschen Bilanz zu stehen. Das würde dann fast 50% Niederlagen, Siege nur gegen kleine Teams, mehrere objektiv unansehnliche Spiele (Sogar von den Spielern selbst so bezeichnet) - aber das Erreichen des Turnierziels, des Halbfinals bedeuten.
Jetzt etwas Polemik: Es droht, dass die (für langjährige Handballliebhaber und -intensivverfolger und -vielhallenbesucher nicht unerwartete aber dennoch erschreckende) Selbsterkenntnis über den realen Zustand des "deutschen" Handballs in einem wohl tatsächlich nationalistisch angehauchten Selbstangejubel über erreichte Turnierziele und die Bodenständigkeit der deutschen Handballer in einer Welt, in der nichts mehr bodenständig scheint, untergeht.
Deshalb ist es, und das ist meine zentrale Antwort an dich, nicht befremdlich, wie hier über das Erreichen des HF geschrieben wird. Es ist, mit Karl Popper gesprochen, nur der Versuch einer weiteren Falsifikation um damit letztlich zum weiteren Fortschritt und Gutgelingen des Projekts beizutragen. Uns allen Kritikern hier liegt das Wohlergehen des deutschen Handballs am Herzen. Es ist ein ganz normaler Baustein demokratischer Debattenprozesse. Leider hat solcher Standpunkt es aber nicht nur mit kritisch-rationalen Gegenübern zu tun, sondern auch mit in republikfarben Gefärbten.
Und zum Schluss, bevor ich mich hier jetzt erstmal bis auf weiteres rausziehe: Wenn die deutsche Mannschaft das Finale erreichen sollte oder gar das Turnier gewinnt, werden sich die Nachbarn über den Lärm ärgern. Ich freue mich schon das ganze Turnier lang über jeden einzelnen guten Angriff und jede allgemein gute Spielsequenz. Es ist nicht so, dass die seit Tagen hier vorgetragene Kritik eine destruktive Intention verfolgt oder gar wirklich "Miesmachen" will oder derartiges. Wer das nicht versteht, versteht vielleicht das grundsätzliche Konzept von Kritik nicht.