Ich habe mir bewusst einen Tag lang Zeit gelassen mit meiner Bewertung der WM aus der Sicht der deutschen Nationalmannschaft, da ungewöhnlich viele Punkte bei mir für eine emotionale Aufladung gesorgt haben. Vorweg, wie kürzlich schon einmal geschrieben, ich habe bei diesem (wie auch bei allen früheren) Turnier weder für noch gegen die Nationalmannschaft von Deutschland gehalten. Ich sehe den Grund nicht, warum ich als Deutscher automatisch für die deutsche Nationalmannschaft sein musss - normalerweise hege ich leichte Sympathien mit demjenigen Team, das schöneren Handball spielt (ein Aspekt, worauf ich gleich noch zu sprechen komme). Ansonsten bin ich vollständig neutral.
1. Eine sportliche Bewertung vorweg. Die WM war aus sportlicher Sicht eine Vollkatastrophe für die deutsche Mannschaft. Die Leistung keines einzigen Spielers bleibt mir nachhaltig positiv im Gedächtnis. Kastening? Warf nur ins lange Eck. Wolff? Bestätigte seinen Trend der letzten Jahre und ließ seinen Worten keine Taten folgen. Bitter? Spielte in Ordnung, fiel aber mehr durch aufgesetztes Rumgebrülle auf dem Feld als durch spektakuläre Paraden auf. Kühn? Unglaublich schlechte Anlaufwege, miserables Wurfverhalten, Fremdkörper im Angriff. Weber? Individuell vergleichsweise gute Aktionen, allerdings zu eigensinnig. Häfner? Taugte nicht als erste Option im Angriff, schlechte Aktionsauswahl. Golla? Bekam von Banhidi massiv die Grenzen aufgezeigt. Gensheimer? Beunruhigte das Team, verwarf einen ganz wichtigen Ball gegen Spanien, was als Routinier nicht passieren sollte. Drux? Spielte seinen Stiefel, für mehr reicht es nicht. Firnhaber? Heillos überfordert.
Wie da Bob Hanning Olympiagold sehen will, ist mir aktuell schleierhaft. Momentan kann der DHB froh sein, wenn sich seine Auswahl für Tokio qualifiziert. Mit dem Hinzukommen von Wiede, Weinhold, Pekeler und Wiencek ist dies möglich, aber wahrlich kein Selbstläufer. Die wirklichen strukturellen Probleme, nämlich das völlig konzeptlose und unkreative Angriffsspiel werden damit höchstens zu Teilen (auf der Halbrechtsposition) behoben. Einzig in der Abwehrmitte dürfte sich die Mannschaft dann wesentlich besser präsentieren. Ob das für einen Leistungssprung um (verglichen mit der WM-Platzierung) ca. 5-7 WM-Plätzen reicht (was wohl notwendig wäre für eine Qualifikation), wird sich zeigen.
2. Trainer: Sicher, viele waren enttäuscht von Christian Prokop: der Ex-Trainer ging erst voll ins Risiko, verlor das Vertrauen bei den Spielern und redete dann der Presse nach dem Mund ("Peke, du entscheidest: wie decken wir?"). Mit Gislason sollte alles besser werden. Mich hat der Isländer aber nach dieser WM nun nicht in Jubelsprünge versetzt. Das liegt weniger an der taktischen Ausrichtung der deutschen Mannschaft, denn für eine Wende um 180 Grad fehlte ihm die Zeit; sondern mehr an seiner Art, sich zu präsentieren sowie an seinen Personalentscheidungen. Gislason spielte den harten Hund, die Respektsperson. Das war vielleicht bei erfahrenen Weltstars wie Jicha und Konsorten erfolgreich, nicht aber bei Mittelklasse-Systemhandballern, wie sie in der deutschen Mannschaft in erster Linie vorliegen. Er setzte auf die gleiche Art und Weise wie beim THW Kiel und zeigte sich somit unfähig, seine Stärken mit denjenigen der Mannschaft übereinzustimmen. Die Spielzüge glichen sich eins zu eins - breites Aufziehen, Prellmove in die Mitte (gegen sechs null) oder Einläufer plus Rückraumkreuz (gegen offensive Abwehr). Aber wie gesagt, geschenkt, daran will ich mich in der kurzen Zeit gar nicht aufhängen, auch wenn ich mich eher mit einem soliden sieben gegen sechs sowie intelligenten Ein- und Ausläufern hätte anfreunden können. Aber seine Auszeiten gingen GAR nicht klar, völlig unstrukturiert, keine Innovationen präsentiert, der Mannschaft NICHTS an die Hand gegeben. Da hätte er sich auch einfach hinstellen und schweigen können wie Felix Magath in seinen besten Zeiten, hätte den gleichen Effekt gehabt. "Jungs, wir schmeißen zu viele Bälle weg und machen unsere Chancen nicht rein" (ach, sieht jeder). Höhepunkt war gegen Spanien: Knorr für eineinhalb Fehler erst zusammenscheißen, dann auswechseln, somit einen Spieler heruntergemacht UND Auszeitsekunden verschwendet, herzlichen Glückwunsch. Seine Aufstellungen waren ebenso nicht nachvollziehbar. Unabhängig von der Tatsache, dass Michalczik, Knorr und Metzner allein aufgrund ihrer Leistung (insbesondere aufgrund von unterschiedlichen Stärken im Vergleich zu ihren Mitspielern) ein gehöriges Maß an Spielzeit verdient gehabt hätten, ist es ein absolutes Unding, solche Spieler dann nicht mal in den letzten beiden Spielen einzusetzen. Menschlich unter aller Kanone und sicherlich nicht der Entwicklung dieser Spieler zuträglich, sie hätten sich auch in ihren Vereinen ordentlich auf die Rückrunde vorbereiten können.
Ebenfalls kein gutes Bild gab Mattias Andersson ab, der offensichtlich mehr damit beschäftigt war, seine "innovativen" (Spoiler: nicht) Trainingsmethoden auf Instagram darzustellen, als wirklich effektiv mit den Torhütern zu arbeiten.
3. Die Außendarstellung. Michelmann, Hanning, schämen Sie sich. Ich war in den letzten Jahren immer ein Verfechter von Hanning ob seiner Klarheit und Zielgerichtetheit. Dieses Turnier war er leider nur peinlich für den deutschen Handball, genau wie Michelmann. Angefangen mit seiner unsäglichen, polemischen Aussage über Lauterbach, der epidemiologisch mit Sicherheit hundert Mal mehr Ahnung hat als Hanning selbst, über sein Zugeben, mit den Pullovern nur provozieren zu wollen (warum muss jemand in seiner Position eigentlich provozieren und wen?), bis hin zu seinen widersprüchlichen und offensichtlich faktisch falschen Aussagen (man denke an die Infektionen von Jakobsen und den schwedischen Mannschaftsarzt oder auch an mit Fans ohne Maske kuschelnde ägyptische Spieler) über die Bubble, die von Anfang an keine war. Mehr Demut und Konzentration auf seine Aufgaben wäre ihm dienlich gewesen. Peinlich auch die Aussagen der DHB-Spitze vor dem Turnier, "zu wissen woran man ist" gegenüber den absagenden Spielern, und nun das Zurückkriechen zu ihnen, weil die Leistung vom Rest offenbar nicht gestimmt hat. Das ist meiner Meinung nach schon lustig, wie wenig Rückgrat man haben kann.
Ebenso widersinnig die ganze Gensheimerdebatte, der sich, anstatt sich aus der Schusslinie zu nehmen, immer weiter mit kopflosen Aussagen ins mediale Minus reingeritten hat und nun trotz oder wegen der an den Haaren herbeigezogenen Verteidigungsartikeln vom DHB oder Frau Kettemann kein funktionierendes Bild als Kapitän mehr abgeben kann. Diese Debatte wird unterm Strich aber viel zu hoch gekocht, sie überdeckt nur andere Probleme, daher nur dieser eine Satz dazu von mir.
Unterm Strich kann Deutschland mehr als froh sein, wenn sie sich für Olympia qualifizieren und medial hoffentlich bald wieder ein positiveres Bild abgeben als zuletzt.