Moin,
Seit einigen Jahren gibt es seitens des DHB eine (verbindliche?) Rahmentrainingskonzeption, in der die Trainingsinhalte für verschiedene Altersstufen festgelegt sind. Ein Teil dieser Trainingskonzeption sieht die offensive Deckung / Manndeckung in gewissen Altersklassen vor. So weit, so gut.
Rahmentrainingskonzeption (PDF)
Edit: Achtung: ballorientiert = für mich: Ballorientierte Manndeckung, der Ball ist das primäre Ziel
In der offensiven Abwehr sollen die Kinder lernen, ihren Gegner und den Ball zu beobachten und daraus ein „optimales“ Abwehrverhalten entwickeln. Dies ist bei einer stark offensiv bis zur Manndeckung agierenden Deckung sicherlich möglich. Gleichzeitig werden die Kinder während der gesamten Spielzeit gefordert, im Gegensatz zu denen, die in einer 5:1 oder 4:2 Deckung am Raum stehen und nur sie Arme hochheben, währen die beiden Vorgezogenen als „Indianer“ die Aufgabe haben, die Pässe des Gegners abzufangen und Tempogegenstöße zu laufen.
Im Gegenzug bringt die offensive Deckung auch der angreifenden Mannschaft Vorteile, da die Kinder lernen, sich frei zu laufen, Lücken zu nutzen oder auch den „Zweikampf zu suchen“. Diese Argumentation hat mittlerweile viele Trainer(innen) erreicht. Der Effekt scheint bei vielen Mannschaften nach einigen Spielen einzusetzen.
So weit, so gut. Theorie und Praxis…
Leider wird in der Rahmentrainingskonzeption nicht so ganz deutlich, dass es um ballorientierte Abwehrarbeit geht, und nicht um Manndeckung mit festhalten. Das hat zur Folge, das viele Trainer(innen) ihre Kinder auf das Feld schicken, ohne mit ihnen vorher geübt zu haben, was sie eigentlich machen sollen.
Folgen von falschem Training / falsch verstandener Offensive:
Die Kinder versuchen nicht, an den Ball zu kommen, sondern glauben, sie sollen ihre(n) Gegenspieler(in) festhalten. Bei technisch oder körperlich starken Gegenspieler(inne)n führt das unweigerlich dazu, dass es zum klammern, stoßen oder reißen kommt. Der Griff in den Wurfarm ist keine Absicht, sondern ungewollter Reflex. Es besteht gar nicht der Versuch, an den Ball zu kommen, obwohl es doch um genau dieses Spielgerät geht.
Als Schiedsrichter steht man in solchen Spielen voll im Kreuzfeuer. Während die angreifende Mannschaft das unfaire Spiel beklagt, wird die abwehrende Mannschaft sich bei eigentlich erforderlichen Verwarnungen, Zeitstrafen und Strafwürfen beschweren, dass so etwas bei den Kleinen doch wohl noch nicht sein muss. Spätestens, wenn sich ein Kind zweimal bei der gleichen Aktion wehgetan hat, wird es den Kopf in den Sand stecken und entweder den Ball brav abspielen oder sich auf die Auswechselbank begeben. Verliert es den Ball, weil der Gegenspieler ihn clever aus der Hand gespielt hat, könnte dies einen Lerneffekt nach sich ziehen, den Ball beim nächsten Mal anders zu halten. Auch diese Dinge kann man beim Training ganz hervorragend üben.
Andere Kinder versuchen ständig, Pässe abzufangen, anstatt sich auf Gegenspieler(innen) zu konzentrieren. Jeder abgefangene Ball, den sie per Tempogegenstoß im gegnerischen Tor versenken bringt Lob vom Trainer und Applaus von der Tribüne, wo Mama und Papa sich über ihr „talentiertes“ Kind freuen. Dass sie aber bei Fehlversuchen, Bälle abzufangen, vielleicht genau so viele Gegentore „verschulden“, sieht niemand in der Halle. Was haben die Kinder aber wirklich gelernt? Nichts, denn sie werden nicht ihr Leben lang Pässe abfangen und Tempogegenstöße laufen, sondern sich irgendwann einem Abwehrbollwerk gegenüber sehen, wo dann plötzlich nichts mehr so ist, wie es in der E-Jugend noch war. Gleichzeitig bekommen sie Probleme bei der „normalen“ Abwehrarbeit gegen einen Positionsangriff.
So glauben also mittlerweile diverse Trainer(innen), dass sie mit ihrer offensiven Deckung etwas ganz tolles aufgebaut haben. Ein 37:1 oder ähnliche Ergebnisse bestätigt sie in ihrem Glauben. Dass sie eigentlich nur einen Haufen voll Tempogegenstößler gezüchtet haben, bleibt ihnen wohl verborgen, es sei denn, sie begleiten die Mannschaft ein paar Jahre auf ihrem weiteren Weg durch die Jugend. Schwer haben es dann auch die Trainer(innen) der älteren Jahrgänge, die den verwöhnten Kids dann beibringen müssen, dass ein Spiel nicht nur aus Tore werfen besteht.
Fazit: Die Rahmentrainingskonzeption ist nicht verkehrt, wird aber von vielen verkehrt verstanden
Mein Motto: Abwehr macht Spaß!
Gruß, harmi