Ich habe einen neuen Lieblings-Journalisten. Er schreibt überraschenderweise nicht für die taz sondern für die WELT und hat sich derzeit die Olympiaberichterstattung der Gebührensender ARD und ZDF vorgenommen. Köstlich, köstlich....
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erschienen am Sa, 14. August 2004
Olympia im Fernsehen: Am Anfang ist das Wort
Auch ARD und ZDF hätten gestern Abend in Bataillonsstärke hinter einem Schild "German TV" ins Olympiastadion einmarschieren sollen. Ihretwegen darf das deutsche Volk schließlich mehr Olympia sehen als alle anderen Völker der Welt. 1 400 Stunden in gut zwei Wochen.
Ja, das geht. Wer vier Fernseher und das zweite Gesicht hat, versäumt keine Sekunde.
Vor einem Rekordversuch muss man sich allerdings ordentlich aufwärmen. Also veranstalteten ARD und ZDF vorweg separate Olympia-Shows. Im Ersten fragte Vicky Leandros vor einer Woche den deutschen Botschafter nach den diplomatischen Beziehungen zu Griechenland. Udo Lindenberg sang mit Kindern, auf Griechisch. Leider fiel der Strom erst am nächsten Tag aus, und das auch nur beim Bundesligaauftakt in Bremen.
Am Donnerstag folgte nun das ZDF. Als "44-mal Gold, 30mal Silber, 10mal Bronze" kündigte Johannes B. Kerner seine Gäste an, um all die Olympiaprominenz dann im Schweinsgalopp durch den Mainzer Fernsehgarten zu jagen.
Bob Beamon hatte drei Sätze, Shawn Fraser noch einen halben mehr, aber dafür war sie ja extra aus Australien eingeflogen. Kerner sagte jedem, dass Olympia doch wohl was ganz Besonderes gewesen sei. Überraschenderweise bekam er zur Antwort, dass Olympia ja was ganz Besonderes gewesen sei. Michael Stich erinnerte sich an seinen ganz besonders defekten Olympiakühlschrank und ein Original-Fackelläufer von 1936 erinnerte sich glücklicherweise nicht an die ganz besondere Ehrentribüne. Der olympische Fackellauf, so Kerner, sei eine so gute Idee, dass sie nicht einmal die Nazis kaputt gekriegt hätten. Warum hätten sie die denn kaputt kriegen sollen? Es war ja ihre Idee.
Außerdem ging es in der Sendung um das Maskottchen der Spiele von 1972. Ein bunter Stoffdackel aus München. Er hieß Waldi, aber, so Kerner, nicht Hartmann. Die Extremwasserwanderin Birgit Fischer veranschaulichte die Vorzüge ihrer Sportart: "Der Ruderer sagt: Scheiße, da hinten war ne Kneipe. Der Kanute: Oh, da vorn kommt ne Kneipe."
Im Vorprogramm war zu sehen, dass Moderator Michael Steinbrecher wie zuletzt in Lissabon auch in Athen in eine ansprechende Kulturlandschaft eingearbeitet werden konnte.
Vielleicht schreibt er mal ein Standardwerk über die "schönsten Dachterrassen der Welt". Hinter ihm die Akropolis bei Nacht, vor ihm Cathy Freeman und die Frage: "Was springt da auf Sie über, an einem Ort wie diesem?" Der olympische Geist? Flöhe? Abwarten.
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erschienen am Di, 17. August 2004
Olympia im Fernsehen: Zerzaust und wild im Wind
Der Bundespräsident hat appelliert, deutsche Sportler nicht mit Siegeserwartungen zu erdrücken. Sie sollten doch bei Olympia einfach nur ihren Spaß haben. Das Staatsoberhaupt scheint den Berichterstattern schnurz zu sein. Sie haben nichts als den Medaillenspiegel im Kopf und stürzen sich auf erfolglose deutsche Athleten wie die Geier auf schwaches Fleisch. Kaum sehen sie einen Schwimmer im Olympiawasser treiben, rufen die Reporter: "Ist das hier schon wieder Sydney, Sydney, ha ha ha?" Die Sportler sind noch außer Atem, aber die Journalisten müssen sofort wissen, woran es gelegen hat.
Ja, woran? Schwer zu sagen, und das nicht mal nur zehn Sekunden nach dem Zieleinlauf. Wir sind hier nicht wie beim Fußball. Da sind derartige Fragen rhetorischer Natur. Der Zuschauer sieht vor dem Fernseher sowieso alles besser. In Portugal beispielsweise lag es daran, dass Klose am leeren Tor vorbeiköpfte und Hamann während der Spiele Kopfrechnen übte.
Doch viele Sportarten entziehen sich dem Schnellschuss. Beim Schwimmen kommt es eher selten vor, dass sich jemand verkrault oder gar ertrinkt. Kein noch so ambitionierter Laie erkennt von draußen, ob da jemand gerade "einen harten Arm" hatte. Sogar die arme Hannah Stockbauer konnte beim besten Willen nicht erklären, warum sie unser leidgeprüftes Vaterland gerade so schändlich enttäuscht hatte. Ein Experte sagte: "Bei Wind verliert man das Wassergefühl." Franziska van Almsick beklagte "die Wellen der Amerikaner". ZDF-Reporter Thomas Wark floh auf die Meta-Ebene: "Schau'n Sie mal auf Sarah Poewes Fingernägel: für Olympia extra schwarz lackiert. Das hat sich ausgezahlt mit einem deutschen Rekord."
Der "Deutschland-Achter" musste in den Hoffnungslauf. Auch beim Rudern erkennen 99 Prozent des Publikums nur junge Männer, die sich etwas zielstrebiger in die Riemen legen als eine Herrenrunde beim Pfingstausflug. Doch dann geht es trotzdem schief, und ein Auskenner sagt: "Wir haben früher mehr vorne reingehauen, die Amerikaner ziehen eher hinten raus". Über bestimmte Disziplinen kann man bei Olympia viel lernen. Aber verstehen wird man sie nie.
Das Luftpistolenschießen. Eine Mitfavoritin war gekleidet wie für einen Bingo-Nachmittag. Streckenweise mutete das Ganze an wie eine Atemübung aus dem Waldorf-Kindergarten, bloß eben mit Pistole. An der unteren Bildkante wurde eine Zielscheibe eingeblendet, auf der rein gar nichts zu erkennen war. Der ARD-Kommentator rief ekstatisch: "Zehn neun, das ist sozusagen der goldene Schuss für die Bulgarin." Oder: "Acht drei Ashumova, was ist da los?" Die Deutsche im Feld hieß Munkhbayar Dorjsuren und wurde Sechste. Was war da los? Was hatte das zu bedeuten? Woran hat es gelegen?
Gestern gelang es der ZDF-Beckenranderscheinung Christa Haas, einem gescheiterten Schwimmer eine griffige Begründung zu entlocken. Der Sportsfreund Meeuws seufzte, dass es tatsächlich an seiner Erkältung gelegen haben könnte. Darauf hieb die Interviewerin ihm verbalkeulenartig auf die Schulter: "Na ja, beim nächsten Mal die Klimaanlage ausmachen, und genießen Sie es weiter!"
Es war windig im Aquatic Center. Um noch mit ins Bild zu passen, musste sich Co-Moderator Theloke ganz eng an Christa Haas und ihren Ringelpulli kuscheln. Ihre weichen blonden Haare kitzelten seine Nase. Er verzog etwas das Gesicht. An diesen zärtlichen Moment wird er sich sein Lebtag erinnern. Denn natürlich wird nicht Herr Phelps der Superstar dieser Spiele, sondern die unvergleichliche Frau Haas. Ihr Chef Wolf-Dieter Poschmann ist schon hin und weg: "So wild im Wind, das Haar so zerzaust, so gefällst du mir am besten."
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erschienen am Mi, 18. August 2004
Wettkampfnass, den Tränen nahe
Das ZDF verlegt sein Gerichtsfernsehen nach Athen
Der Beschuldigten Buschschulte wird vorgeworfen, 100 Meter in einer Minute und 1,39 Sekunden geschwommen zu sein. Auf dem Rücken. Weiterhin muss man ihr anlasten, dass fünf andere Schwimmerinnen schneller waren.
Es zählt zu den vornehmsten Aufgaben der freien Medien, Missstände und Pflichtverletzungen aufzudecken und anzuprangern. Erst recht, wenn es um einen gebührensüchtigen Fernsehsender und eine steuerfinanzierte Sportlerin geht.
Nur wenige Sekunden nach dem Delikt konnte die noch wettkampfnasse Buschschulte von der ungemein schlagfertigen ZDF-Tatort-Spezialistin Christa Haas gestellt werden, brach aber rasch unter Tränen zusammen und war vorerst zu keiner weiteren Aussage in der Lage. Etwas später wurde Ralf Beckmann, verantwortlicher Mannschaftsleiter der Buschschulte, dem erfahrenen Vernehmer Michael Steinbrecher im Studio vorgeführt. Dabei kamen weder ein Schuldeingeständnis noch befriedigende Reue- und Demutsbekundungen zustande. Vielmehr beharrte der Beckmann halsstarrig darauf, die Buschschulte ausreichend vorbereitet zu haben, und im Übrigen wäre der größere Teil der Wettbewerbe ja noch zu absolvieren.
Kurz vor Mitternacht übernahm dann ZDF-Mitarbeiter René Hiepen die Beschuldigten. Er vertrat damit kurzfristig Johannes B. Kerner. Der hatte angeblich seine Stimme verloren, möglicherweise bei der energischen Vernehmung anderer Olympiasiegverweigerer. Der wahre Grund dürfte allerdings gewesen sein, dass Hiepen sich mit hochnotpeinlichen Befragungen einfach besser auskannte. Schließlich hatte er vor gut einem halben Jahr in angetrunkenem Zustand mit einem geborgten Porsche etwa fünf Autos zusammen geschoben und dabei einen Menschen schwer verletzt.
Buschschulte und Beckmann wiederholten im Wesentlichen ihre Einlassungen aus den ersten Vernehmungen. Die Beschuldigte bestand darauf, das Wasser sei "wellig" gewesen und sie habe es deshalb "nicht zu greifen gekriegt". Hiepen konterte mit einem geschickten Verweis auf den offenbar zweifelhaften Lebenswandel der Buschschulte. Er habe "in Ihrer Vita" gelesen, dass sie in letzter Zeit mehrmals umgezogen sei. Die Buschschulte versuchte, sich mit ihrem Studium und einem Trainerwechsel herauszureden. Außerdem ginge es um einen Zeitraum von acht Jahren. Kurzzeitig sah es so aus, als würde sie aus der Fassung geraten und mit Worten oder Gegenständen werfen. Aber es gibt eben nur ein' Rudi Völler. Und Schwimmer sind, was ihre Würde betrifft, offenbar nicht so empfindlich wie Formel-1-Piloten.
Schließlich gelang es Hiepen doch, die Beschuldigte und ihren Handlanger in Widersprüche zu verwickeln. Buschschulte gestand zwar, auch schon unter freiem Himmel trainiert zu haben, stritt aber ab, dass damals auch nur ein leichter Wind übers Becken gefegt sei. Beckmann behauptete dagegen, es habe dort sehr wohl schon mal geweht.
Damit konnte die Beweisaufnahme abgeschlossen werden. Höchste Zeit. Die Beschuldigte schien bereits den Tränen nahe und bereit, sich vor ihrem Vernehmer und dem ganzen deutschen Volk auf die Knie zu werfen. Das Urteil wurde sofort vollstreckt. "Zur Erinnerung" mussten beide jeweils eine der so genannten ZDF-Grafiken mitnehmen, die wirklich nur gebrauchen kann, wer einen sehr großen Keller hat. Das war die Höchststrafe. Bei der ARD gibt es Handys.