Badische-Zeitung-INTERVIEW:
Handball-Bundestrainer Heinen Brand über die Entwicklung nach dem WM-Titel
Die leidige Parallelwelt
ST. GALLEN. Ein deutlicher Imagegewinn für die Sportart und seine Person machte Handball-Bundestrainer Heiner Brand rund ein Jahr nach dem Gewinn des Weltmeistertitels aus. Für ein zentrales Thema seiner Tätigkeit, mehr Einsatzzeiten für deutsche Akteure in der Bundesliga zu erlangen, nutzte dem 55 Jährigen der ganze Popularitätsgewinn nichts. Zwischen der Liga und dem Fachverband bauen sich deutliche Fronten-auf. Dies sagte er im Gespräch mit BZ-Redakteur Wolfram Köhli.
BZ: Wie haben sich nach dem Gewinn des WM-Titels die Rahmenbedingungen des Handballs in Deutschland verändert?
Brand: Im Spitzenbereich wurde die öffentliche Wahrnehmung immens gesteigert. Wir haben TV-Übertragungen zu den besten Zeiten, wir alle werden ganz anders wahrgenommen. In der Bundesliga hat sich nicht so viel verändert. Sieht man davon ab, dass die deutschen Spieler nun auch eine enorme Popularität haben und die Kinder in den Hallen auf die Spieler zustürzen. An der Basis haben wir einen großen Zulauf gehabt. In einigen Städten konnte gar nicht alle Kinder aufgenommen werden. Das ist positiv, aber es muss nachhaltig sein - was auch von der Qualität bei den Trainern abhängt.
BZ: Laut einer Umfrage des Magazins Stern im Januar sind Sie derzeit beliebtester Deutscher. Ihre Popularität steht kaum der des Fußball-Kaisers Franz Beckenbauer nach. Wie erleben Sie diesen Rummel um Ihre Person?
Brand: Ich freue mich darüber. Seit ich das Amt als Bundestrainer übernahm war es ein Ziel von mir, dem Handball mehr öffentliche Anerkennung zu geben. Jetzt haben wir es in einem Maße geschafft, wie wir es uns nie vorstellen konnten. Es trifft aber nicht nur mich, es trifft auch die Spieler. Das ist mit Pflichten verbunden. Bin ich in einer Halle, schreibe ich unentwegt Autogramme, stehen die Kinder Schlange. Dieser Aufgabe stelle ich mich. Mein Bekanntheitsgrad ist mit Einschränkungen verbunden. Aber darüber will ich nicht klagen.
BZ: Trotz aller Erfolge sind Sie bei einem zentralen Anliegen keinen Millimeter weitergekommen. Bei der Forderung nach mehr Einsatzzeiten deutscher Spieler bei den Bundesligisten. Schöpft die Liga -Vereinigung HBl nur den Rahm des Erfolges ab, ohne aktive Unterstützung?
Brand: Die schöpfen ein bisschen Rahm ab, aber machen ansonsten ihr eigenes Ding. Die haben nur zur Kenntnis genommen, dass wir Weltmeister wurden. Dabei profitierte die HBL in einigen Bereichen. Ich nenne nur den Ligasponsor Toyota. Auch die einzelnen Vereine haben im Zuge unseres Weltmeistertitels neue Sponsoren gefunden. Aber die bauen so eine Parallelwelt auf. Man kann über Belastungen der Spieler diskutieren, über Veränderungen des Terminplanes. Aber man kann nicht in einem Jahr, in dem fast 21 Millionen Menschen bei einem WMSpiel vor dem Fernsehen gesessen haben, die ersatzlose Abschaffung einer Weltmeisterschaft fordern. Im Interesse dieser Sportart, muss über Alternativen nachgedacht werden, aber kreativ. Mir zeigt dies, die HBL denkt gar nicht an die Entwicklung der Gesamtsportart, sondern nur an ihre eigenen Interessen. Das ärgert mich fürchterlich.
BZ: Das Rezept Ihres Erfolges wird hier konterkariert. Sie predigen Teamgeist und ernten bei der Liga Egoismus?
Brand: Du hast keine Chance, keine Chance im Hinblick auf den Einsatz deutscher Spieler. Da kann uns nur Sepp Blatter helfen, der eine 6:5-Regelung im Fußball durchbringen möchte. Sollte dies den Fußballern glücken, würde der Druck auf die Handballer wachsen. Die Liga geht mit dem Thema um, als würde ich nichts sagen. Die haben keine Diskussion mehr gesucht, nachdem sie vor anderthalb Jahre meinen Vorstoß abgeschmettert haben. Ich hoffe der Einfluss des Fußballs ist so groß, dass die EU auch kapiert, dass Sport in einer besonderen Situation ist. Der Sport stellt keinen normalen Arbeitsmarkt dar. Er ist in Verbindung mit den Stichworten Breitensport, Vorbildwirkung, Nachwuchsarbeit und seiner sozialen Leistung anders zu bewerten. Setzt sich die Position der Vereine durch - das wird mich wahrscheinlich in meinem Amt nicht mehr betreffen-wird es für die Sportart ganz gefährlich werden, da die Nationalmannschaft dann nicht mehr die Rolle spielt wie noch heute. Studien haben ergeben, die Identität geht verloren, wenn die Nationalmannschaften gefährdet sind und dadurch die Nachwuchsarbeit gehemmt wird.
BZ: Im Länderspielgegen die Schweizam Mittwoch in St. Gallen (23:21) waren einige Europameister und Vizeweltmeister der Junioren dabei. Belegt deren Entwicklung nicht bereits Ihre Sorgen?
Brand: Wir sprechen hier leider fast schon von ewigen Talenten. Christoph Theuerkauf ist 23, Christian Sprenger bald 25 Jahre alt. Genau das ist ja die Crux. Es kommen schon ein paar Junioren-Nationalspieler in die erste Liga, aber den Durchbruch schaffen sie zu spät. Das würde sich mit einer Quotenlösung ändern. Dann wäre ein anderes Angebot da. Sindein paar Nationalspieler krank, muss ich erst in der „Handballwoche" nachschauen, wer istnoch Deutscher. Am Samstag war ich in Stuttgart und habe Melsungen gesehen - ohne einen einzigen deutschen Spieler. Der Trainer ist Schwede, der Co-Trainer Ungar und der Manager Rumäne. Da frage ich mich, welche Verantwortung nehmen die für die Sportart wahr. Die haben keine Jugendarbeit. Die zahlen lieber in das Förderprojekt ein paar Euros. Das ist weniger als ein halbes Monatsgehalt eines Spielers.