Da ich die Modalitäten in anderen Handballverbänden nicht kenne, hier eine kurze Erklärung zum allgemeinen Verständnis:
In Berlin werden E-Jugendspieltage seit ichweißnichtwieviel Jahren in Turnierform ausgerichtet, die erste Tageshälfte im Modus 2 x 3 gg. 3, danach 6 gg. 6 (jeweils plus Torwart natürlich). Es werden keine Tabellen geführt, eine Meisterschaft wird ebenso wenig ausgespielt.
Wir treten diese Saison wieder in der stärksten Staffel an und bekamen es zunächst mit unserem Dauerkonkurrenten Berliner TSC zu tun, eine in der gesamten Breite recht stark aufgestellte Mannschaft, wogegen wir u.a. aufgrund meiner Ausnahmetalente Maria und Speedy eher in der Spitze unsere Vorteile haben.
Dem ausgeglichenen Kader des Gegners begegnete ich damit, dass ich in der rechten, schwächeren Hälfte Biggy, eigentlich eine meiner besseren Spielerinnen, einsetzte, um dort ein Bisschen für Ordnung im Spielaufbau zu sorgen. Das entspricht eventuell nicht ganz den Regeln für das 2 x 3 gg. 3-Spiel, ist aber m. E. erstens sinnvoll und zweitens vor allem legitim, da es die meisten anderen Trainer auch so machen (manche Trainer wechseln auch je nach Gusto munter durch).
Die erste Halbzeit verlief dann auch ganz nach Plan, unsere starke linke Seite hatte ihre Gegnerinnen im Griff und ließ in 07:30 Minuten nur drei Gegentore zu , während Biggy auf rechts zwei schöne Tore erzielte
, wogegen Sternchen, Pippi und Karla leider noch keinen Ball im Tor unterbringen konnten
. Dennoch war alles im grünen Bereich (i.d.R. erzielen wir links deutlich mehr Tore als rechts).
Dann Halbzeit und Wechsel der Angriffsrichtung, ich rechnete im Stillen mit einem kleinen Torfestival auf unserer linken Seite . Offenbar aber kehrte mit dem Halbzeitpfiff auch ein Phänomen ein, dass sich am ehesten mit einem alten Science-Fiction-Film vergleichen lässt, wo Außerirdische die Körper von Menschen übernehmen: Biggy war plötzlich wie besessen, warf den Ball regelmäßig den Gegnerinnen direkt in die Arme oder ihren Mitspielerinnen auf die Füße, wahlweise auch gerne mal ins Seitenaus. Zudem entwickelte sie eine außerordentliche Faszination für die Bewegungen ihrer Gegnerinnen und schaute aufmerksam zu, was die so alles mit und ohne Ball veranstalteten, das Ganze jedoch ohne jeglichen inneren Drang, selbst ins Geschehen einzugreifen und eventuell das eine oder andere Gegentor zu verhindern
. Insofern war es nicht verwunderlich, dass der BTSC zügig und deutlich in Führung ging. Die logische Konsequenz: Biggy brauchte ´ne Pause
und ´ne Ansage
; es stellte sich aber die Frage, wer sie solange ersetzen soll: Nicky oder Sophie aus der linken Hälfte? Nein, die Blöße wollte ich mir nicht geben, sollten es erstmal die drei vermeintlich Schwächeren richten. Das klappte zwar etwas besser, aber immer noch weit entfernt von gut, da nunmal eine leistungsstärkere Spielerin fehlte. Also Ansage an Biggy: Genau schauen, wie die Gegner sich bewegen (die spekulierten förmlich auf das Abfangen des Passes, sonst eigentlich eher unsere Waffe), Passtäuschung/Körpertäuschung, dann Abspiel oder selbst gehen. Sichere Pässe, gerne auch lang und direkt in die Angriffshälfte, in der Abwehr zupacken, den Gegnerinnen den Weg zum Tor versperren, vielleicht auch mal einen Pass abfangen, alles Dinge, die Biggy im Training gelernt, vertieft und schon zigmal umgesetzt hat. Biggys große Augen schauen mich aufmerksam an und vermitteln mir den Eindruck: „Ich habe verstanden, oh großer weiser Trainer!“
Ich wechsele Biggy wieder ein, sie bekommt den Ball und wirft ihn direkt einer Gegenspielerin in die Arme, die diese Einladung zum Torwurf dankend und mit Erfolg annimmt . Eindrücke können täuschen, auf meine Menschenkenntnis brauche ich mir wirklich nichts einzubilden!
Unsere linke Seite im Angriff dagegen völlig souverän: Jeder Ball wird eiskalt und effektiv verwertet, da war es also, das erwartete und erhoffte Torfestival!? – Leider nicht, da in Halbzeit zwei – Biggy sei Dank! - gerade mal vier! Bälle den Weg über die Mittellinie fanden – Endstand 8:6 gegen uns.
Dann folgten die beiden Spiele gegen den TSV Rudow. Im letzten Jahr noch ein ernstzunehmender Gegner, scheinen sie in dieser Saison gegen uns hoffnungslos überfordert. Unser deutlicher Sieg von 9:1 im ersten Spiel wäre eigentlich keines weiteren Kommentars würdig gewesen, wenn nicht unser Geburtstagskind Karla in diesem Spiel ihr erstes Tor in der A-Staffel geworfen hätte . Schade nur, dass ich es völlig verpasst habe, weil ich zu diesem Zeitpunkt gerade Sternchen verarzten und trösten musste
. Was war passiert? Zusammenprall mit einer anderen Spielerin? Überhartes Einsteigen der Gegner? Griff in den Wurfarm? Ellenbogen in die Rippen? Bein gestellt? – Nichts von alledem! Sternchen ist seit etwa drei Jahren beim Handball, angefangen hat sie bei den Minis. Seitdem gab es nicht eine einzige Trainingseinheit, in der ich nicht ihre Handhaltung beim Fangen des Balles korrigiert hätte
. Bei Sternchen ist Fangen reine Glückssache. Hier hatte sie allerdings das Glück verlassen: ein straffer Pass von Maria war ihr durch die Hände gerutscht und voll im Gesicht gelandet...man kann Fangen auch auf die harte Tour lernen, wenn man nicht auf den Trainer hören will.
Das zweite Spiel im 6 gg. 6-Modus gewannen wir dann deutlich knapper, weil wir etwa ab der dritten Minute aufgrund hoher Führung in Unterzahl (bei 6 gg. 6 ab einer Vier-Tore-Führung vorgeschrieben) spielten. Speedy, Maria und Silvia, meine drei stärksten Mädchen, saßen den Rest des Spiels auf der Bank und langweilten sich fast zu Tode . Als Konsequenz daraus werden wir es künftig in solchen Fällen mit außerordentlicher Aufgabenverteilung versuchen: Ausschließlicher Einsatz als Anspielerin, Torwürfe nur noch in besonderen Ausnahmefällen und dann keine Sprungwürfe, sondern nur Schlagwürfe in allen Varianten mit der ausdrücklichen Erlaubnis, auch mal was Unkonventionelles auszuprobieren. Ich höre jetzt schon die Proteste der Mädchen: „Was? Keine Torwürfe mehr? Warum dürfen die und ich nicht? Wie gemein
!“ Habe mir vorsorglich „Das kleine Handbuch für den Hobbypsychologen“ und „Kinderpsychologie für Anfänger“ beim Buchhändler meines Vertrauens bestellt!
Zuletzt dann das Rückspiel gegen den BTSC: Die Auftaktniederlage verlangte nach Rache, es wurden Messer gewetzt, Zähne gefletscht, dem Ausgraben des Klappstuhls folgte eine förmliche Kriegserklärung an den Gegner, und ich verteilte die vorsorglich vorbereiteten Portionen rohes Fleisch an meine Mädels . Ist natürlich alles Quatsch, Mannschaften und Trainer sind durchaus freundschaftlich und in gegenseitigem Respekt verbunden, aber gewinnen will man halt trotzdem.
Zunächst legten wir ganz gut los und gingen durch schnelle Tore von Maria, Speedy und Sophie in Führung. Das Zusammenspiel im Angriff klappte wunderbar, der Ball wurde souverän und schnell vorgetragen, die Gegner hatten zunächst das Nachsehen . Dann passierte etwas, woran ich bislang beim Mannschaftssport eigentlich nicht glaubte: die Faktoren Glück und Pech machten sich bemerkbar, leider zu unseren Ungunsten: Wir warfen öfter den Ball an den Außenpfosten, die Gegner trafen im Gegenzug den Innenpfosten. Unsere Torwürfe berührten mehrmals die weiche Torabhängung, was gem. Regel einen Abwurf zur Folge hat, die Würfe der Gegner schlugen knapp unter der Abhängung unhaltbar in Silvias Tor ein. Hinzu kamen schwache Abwehrleistungen von Sophie (normalerweise unsere stärkste Abwehrspielerin
) und Biggy, die nach wie vor im Körperfressermodus lief
. Der BTSC holte auf und ging sogar in Führung. Ein Torwartwechsel von Silvia auf Sophie brachte zunächst auch nicht den gewünschten Effekt, sollte sich aber schließlich als spielentscheidend herausstellen: Die letzte Spielminute läuft, der BTSC erhöht auf 9:7. Ich sage mehr oder weniger zu mir selbst: „Los Mädels, wenigstens noch auf eins verkürzen!“. Offenbar wurde ich gehört. Der Ball wird schnell nach vorn gespielt, kommt über Maria zu Speedy, die das Runde mit unnachahmlicher Dynamik und Wucht ins Eckige nagelt
. Mein Blick geht zur Uhr, während die Gegnerinnen sich zum Anwurf bereitmachen: noch 20 Sekunden. Ich rufe laut, ohne wirkliche innere Überzeugung: „So Mädels, jetzt schnelle Balleroberung und Ausgleich!“
Anpfiff, der Ball wird zur Seite gespielt, und die bis dahin scheinbar gelangweilt in der Nähe stehende Silvia explodiert förmlich, sprintet dazwischen, fängt den Pass ab und enteilt unaufhaltsam gen gegnerisches Tor. Drei Sekunden vor Abpfiff zappelt der Ball im Netz, die Halle tobt, und Silvia lässt sich – absolut zu Recht – feiern!
Die BTSC-Trainerin Betty und ich geben uns beide – äußerlich um Jahre gealtert, aber mit einem Lächeln im Gesicht – die Hand und suchen synchron in unseren Taschen nach den Herztabletten...
Nach dem Spiel frage ich die Mädels, wer im letzten Spiel beim Berliner SV 1892, die stark ersatzgeschwächt angetreten waren, nochmal aushelfen möchte. Fast alle Finger gehen in die Höhe, bewusst lasse ich Speedy, Maria und Silvia außen vor, das wäre den Rudower Gegnern gegenüber unfair gewesen. Ich schicke Sophie, Biggy und Pippi los.
Mit deren Hilfe gewinnt der BSV das Spiel gegen Rudow. Rolf, der befreundete Trainer des BSV, bedankt sich hinterher bei mir für die Hilfe (ist ja selbstverständlich) und erwähnt dabei, dass die Rudower Trainerin sich darüber aufgeregt hat, dass ich meine stärksten Mädchen zum Aushelfen geschickt habe Ich konnte ja nicht ahnen, dass ausgerechnet Biggy die meisten Tore für den BSV wirft, war aber heilfroh, dass die Körperfresser ganz offensichtlich ein neues Opfer gefunden haben.