Christian Berge im "Stern"

  • 24.11.2005


    Christian Ewers, Journalist des Hamburger Magazins „stern“, besuchte Christian Berge in Norwegen:



    Christian Berge im „stern“: Ich glaube nicht an Schicksal“


    Heute ist wieder so ein Tag. Alles tut weh, im Kopf dröhnt ein Presslufthammer, in der Brust steckt ein Speer, und die Beine sind ausgegossen mit Blei. Christian Berge hat es schon am Morgen gespürt, beim Gang ins Bad. Scheißtag heute. Schmerztablette einwerfen, wieder hinlegen und schlafen, einfach nur schlafen,
    das wäre eine Erlösung gewesen, für ein paar Stunden zumindest. „Verlorene Zeit“, sagt Berge. „Im Bett liegen bringt mich nicht weiter.“ Deshalb ist er an den Teisendammen gefahren, einen kleinen See, 20 Autominuten westlich seiner Heimatstadt Trondheim in Norwegen. Über dem Wasser liegt der Nebel wie eine Tischdecke, nur ein paar Schilfhalme ragen heraus aus dem wattigen Grau. Berge läuft los. Sein Schritt ist schwer, den Pfützen auf demSandweg weicht er nicht aus. Er schlurft hindurch, das Wasser schwappt in feinen Wellen zur Seite. Vor zwei Jahren hatte Berge, 32, noch zehn Runden um den See geschafft. Heute schafft er nur eine. Für die zwei Kilometer braucht er eine Viertelstunde. Berge sieht nicht mehr auf die Uhr beim Joggen. Für ihn hat am 27. Oktober 2004 eine neue Zeitrechnung begonnen. Und die kennt keine Minuten und keine Sekunden. Seit dem 27. Oktober 2004 weiß Christian Berge, dass er Lymphdrüsenkrebs hat. Die letzte Chemotherapie liegt jetzt drei Monate zurück. Sein Haar ist noch
    ein dünner Flaum, um die Augen liegen dunkle Ringe. Auf der Rückfahrt vom Teisendammen nach Trondheim sitzt Berge mit hängenden Schultern am Steuer. Heute hat er brutal zu spüren bekommen, wie unendlich weit entfernt er von seinen Zielen ist: Rückkehr aufs Handballfeld, wieder einer der besten Regisseure der Welt werden, noch einmal ein großes Spiel entscheiden. Rückkehr zu seiner Mannschaft SG Flensburg-Handewitt. Dem Team, das er noch vor einem Jahr zum Meistertitel, Pokalsieg und ins Finale der Champions League geführt hatte. Berge rutscht unruhig auf dem Fahrersitz vor und zurück. Schluckt er seine Wut herunter? Verdrängt er seinen Frust? Er schweigt. An den Seitenfenstern seines Jeeps fliegen grün-schwarze Tannenwälder vorbei, gefrorene Äcker und Seen, immer wieder Seen. Kurz bevor er in den Schotterweg zu seinem Haus biegt, sagt Berge: „Ach, dieses Laufen. Hat mir sowieso nie gelegen. Muss ich noch dran arbeiten.“ Das sind so typische Christian-Berge-Sätze. Er hat eine sanfte Art, mit den Dingen umzugehen, sogar mit seiner schweren Krankheit. Warum gerade ich? Diese Frage wühlt wohl jeden Krebspatienten auf. Und manchen, der nicht begreifen kann, dass es keine Antwort gibt, macht sie zu einem verbitterten Menschen. Berge scheint diese Frage nicht an sich heranzulassen. Er sagt: „Ich glaube nicht an Schicksal. Ich habe eben dieses eine Mal Pech gehabt.“ Berges Familie ist in Trondheim, er wohnt mit seiner Frau Turid und seinem vier Wochen alten Sohn in einem gelben Holzhaus am Stadtrand, Eltern, Geschwister und Freunde sind in der Nähe.


    Berge wird aufgefangen – doch sein Glück, das will er sich auf dem Handballfeld zurückholen. Dreimal in der Woche trainiert Berge bei HeimdalHK, einem norwegischen Zweitligisten. Es gibt keine Profis im Team, das ist schnell zu sehen, der Kreisläufer schleppt einen kleinen Bierbauch mit sich herum, und im Tor steht ein Junge mit Pubertätspickeln. Für Berge muss Heimdal HK an diesem Abend seine SG Flensburg sein. Im Trainingsspiel flitzt er vor der Deckung auf und ab, sperrt Laufwege frei und verteilt mit weichem Handgelenk den Ball. Berge ist wie verwandelt. Die schweren Beine: tanzen jeden Gegner aus. Die stechende Lunge: hat Luft für zehn Tempogegenstöße nacheinander. Der hämmernde Kopfschmerz: vergessen, Berges gebrüllte Kommandos sind bis draußen auf den Parkplatz zu hören.


    BERGE BRAUCHT HANDBALL.


    Nicht nur, weil der Sport seinem Leben in diesen Wochen ein Ziel gibt. Handball ist Berges Sprache. Abseits des Feldes ist Berge ein wortkarger Typ. Bei der SG Flensburg sah man ihn oft mit einem Kopfhörer umherlaufen; vor dem Spiel ließ er sich von seinem iPod mit Linkin Park oder Nirvana bedröhnen, nach der Partie stöpselte er einen DVD-Player ein und schaute Fantasy-Filme – während die anderen Jungs im Mannschaftsbus Bier tranken und Karten droschen. So war es auch am 9. Oktober 2004. Hinten im Bus wurde gefeiert, Flensburg hatte einen Punkt im Champions-League-Spiel gegen Tatran Presov aus der Slowakei gewonnen. Vorn saß Berge mit seinem DVD-Player. Doch er konnte nicht abtauchen in seine Märchenwelt, er hatte höllische Schmerzen. Rechts am Hals fühlte Berge eine Beule, faustdick war sie und heiß, er hörte, wie sich das Blut in dumpfen Schüben durch die Schwellung pumpte.


    Der komplette Bericht, versehen mit vier Fotos, ist im aktuellen „stern“ nachzulesen.(Quelle: http://www.christianberge.de/)



    Hoffentlich wird Christian bald wieder gesund bei uns sein...Laut norwegischen Zeitungsberichten wird er mit der norwegischen Nationalmannschaft nach Island reisen.(Quelle: http://forum.sg-flensburg-handewitt.de/)

    You´ll never walk alone...


    "Ich wollte schon immer mal im Ausland spielen." ;) (Jan Holpert auf die Frage wie man sich als einziger Deutscher im Kader der SG Flensburg-Handewitt fühlt.)

  • Das hoffe ich auch, er kämpft, gibt nicht auf und wird durch seine positive Einstellung sicherlich Gesund - wenn das auch mehr ein frommer Wunsch sein mag.

    MsG
    ATOM

  • Moin,


    ein beeindruckender und einfühlsamer Bericht, der anhand einer einzelnen Person zeigt, wie es vielen Tausenden in Deutschland und der Welt geht.


    Plötzlich sind alle Ziele in weite Ferne gerückt, ja vielleicht sogar unerreichbar.


    Wie klein erscheinen da Siege gegen andere Mannschaften oder der Gewinn eines Europacups.


    Das Training beim norwegischen Zweitligisten ist für ihn ein kleiner Lichtblick. Es ist, wie bei einem Handballspiel, in dem man 10 Minuten vor Schluß aussichtslos zurück liegt Trotzdem freut man sich vielleicht noch an einem gelungenen Spielzug oder an einem schönen Tor.


    Stellvertretend an alle Krebskranken der Welt hoffe ich für Christian Berge, dass er seinen schwersten Kampf gewinnt.


    edit: Schreibfehler ausgebügelt


    Gruß, harmi

    :) Mache nie zwei mal den selben Fehler, die Auswahl ist doch groß genug! :)

    Einmal editiert, zuletzt von harmi ()

  • Sehr bewegender Bericht. Einfach nur Wahnsinn, dass jemand mit einer solchen Krankheit noch in der Lage ist, überhaupt noch Handball zu spielen und überhaupt noch 2km joggen zu gehen...
    Großen Respekt und ich hoffe wirklich er wird noch mal gesund!!!

    Das Leben ist eine endlose Probe für eine Vorstellung, die nie stattfindet.

  • ich hoffe auch, dass er nicht aufgeben wird, gegen seine krankheit zu kämpfen.

    Wo Unrecht zur Gewohnheit wird, wird Widerstand zur Pflicht!

  • Ich finde es auch einen wirklich gelungenen und bewegenden Bericht!


    Ich hoffe für ihn und seine Familie, dass er den Kampf gewinnen wird und sein großes Ziel in Erfüllungen gehen wird....endlich wieder richtig Handball spielen!!!

    Gemeinsam sind wir stark!

  • Oh ein super Bericht! Echt sehr mitreißend und bewegend zu lesen!
    Christian Berge ist echt bewundernstwert und ich hoffe wirklich für ihn dass sich diese ganzen Kraftaufwände lohnen und wir ihn bald wieder bei der SG Flensburg-Handewitt sehen können!

  • Habe mir gestern auch mal den Stern geholt und muss sagen: Hut ab vor Christian Berge!! Er ist Profi und kein Patient - dieser Satz sagt alles. Wünschen wir ihm, dass er bald wieder auf der Platte steht und Handball zelebriert!!


    Super Artikel - absolut lesenswert!!

    take a deep breath, complete the action don’t turn away, don’t think it’s over up to extremes and finish what you start wait for me, don’t think it over can i stop, what’s coming?

  • das interview/bericht ist sehr schön
    ich habe richtig gänsehaut bekommen.
    Hoffentlich geht es ihm bald wieder besser.

  • Moin


    Christian Berge hat im Spitzenspiel in Magdeburg mitgespielt und zwei Tore gemacht.


    Wahnsinn!


    Viel Glück und Gesundheit, Christian!


    Gruß, Harmi

    :) Mache nie zwei mal den selben Fehler, die Auswahl ist doch groß genug! :)

    Einmal editiert, zuletzt von harmi ()

  • dieser artikel hat mich sehr bewegt. Ich lese ihn immerwieder gerne und wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch mal tränen in den augen. Ich hab mich riesig gefreut als, er gegen den SCM aufm Parkett stand. Ich hoffe er spielt heut wieder ein paar minuten

  • der Artikel ist einfach nur berührend!
    Es freuen sich alle Handballfan, wenn er auf dem Pakett steht!