ZitatAlles anzeigen"Ich bringe Dich um"
Von Erik Eggers, Flensburg
Im Hinspiel des Champions-League-Finales zwischen der SG Flensburg-Handewitt und dem THW Kiel kochten die Emotionen über. Auslöser war der brutale Wurf eines deutschen Nationalspielers. Flensburgs Torwart rastete daraufhin aus. Das Spiel endete unentschieden.
Eine einzige Szene reichte, um den vorher schon brodelnden Kessel Campushalle zum Platzen zu bringen. Ein einziger Moment zeigte, welch hoher Einsatz auf dem Spiel steht, unter welchem Druck die beiden Erzrivalen stehen. Ein Tempogegenstoß des Nationalspielers Christian Zeitz in der 49. Minute, beim Stand von 23:21 für Kiel, brachte die 6.300 Zuschauer zum Rasen.
Die Handballer der SG Flensburg-Handewitt und des THW Kiel, die das Finalhinspiel um die Champions League ausfochten, rannten nun, vollgepumpt mit Adrenalin, auf das Spielfeld. Es gab Tumulte, Gedränge, es war ein einziges unübersichtliches Geschubse auf dem Parkett. Denn Weltmeister Zeitz hatte aus vollem Tempo nicht das Tor, sondern aus zwei Metern Entfernung, dazu mit maximaler Wucht, den Kopf des Flensburger Torwarts Jan Holpert getroffen - und der 38jährige fiel wie vom Schlag getroffen, zu Boden.
Dann, geschockt von dieser brachialen Wucht, sprang der ansonsten sehr besonnene Holpert sofort auf und wollte Zeitz an die Gurgel. "Ich bringe Dich um", brüllte er dreimal mit stierem Blick den Schützen an, aber seine Kollegen konnten ihn unter Aufwendung all ihrer Kräfte festhalten. "Wenn ich ihn nicht zurückgedrängt hätte", erzählt SG-Spielmacher Joachim Boldsen später - nachdem das gerechte 28:28 (10:12)-Remis besiegelt war, "dann hätte er ihn getötet". Holpert, der eine leichte Gehirnerschütterung erlitt, musste ausgewechselt werden.""Es geht Jan schon wieder besser", berichtete nach dem Spiel Torwartkollege Dan Beutler - und griff den Schützen verbal an: "Es ist ja nicht das erste Mal, das ihm das passiert." Im März 2005 hatte Zeitz den Nationalkeeper Carsten Lichtlein (damals TV Großwallstadt) ähnlich hart am Kopf getroffen.
Der dramatische Zwischenfall war gleichzeitig die Szene, die Flensburg wieder zurückbrachte ins Spiel. Danach pfiffem die Zuschauer jeden Ballkontakt des zuvor sehr stark spielenden Zeitz gnadenlos aus, das animierte die Flensburger Handballer zu einer Aufholjagd in den letzten elf Minuten. "Er hat uns damit sehr geholfen", sagt SG-Manager Thorsten Storm und kritisiert ebenfalls die Aktion von Zeitz: "Er hat offensichtlich ein Problem mit der Risikowahrnehmung." Zeitz selbst entschuldigte sich mehrfach und sagte nach der Partie: "Es tut mir leid, ich hätte lieber das Tor getroffen, es war keine Absicht. Aber wenn er Torwart wird, muss er mit so etwas rechnen." Flensburgs Trainer Kent-Harry Andersson, der von einem "K.-o.-Schlag wie beim Boxkampf" sprach, wollte sich spontan nicht dazu äußern. "Es kommt darauf an, ob sich Holpert bewegt hat", erklärte der Schwede.
Kiels Coach Noka Serdarusic antwortet auf die Frage von SPIEGEL ONLINE, wie die Situation bei Zeitz' Kopftreffer einzuschätzen sei, extrem gereizt: "Schon diese Frage zu stellen, bedeutet, ihm eine Absicht zu unterstellen." Auch Serdarusic hatte während dieser Tumulte die Kontrolle über sich verloren und dem tobenden Publikum zweimal den Stinkefinger gezeigt - wofür er mit einer Gelben Karte bestraft wurde.
Nachdem Kiel 5:8 (15. Minute) in Rückstand geraten war, hatte der THW lange Zeit geführt, obwohl er nur acht gesunde Feldspieler zur Verfügung hatte - darunter den 41jährigen Andrei Xepkin, der nach vierjähriger Abstinenz eigentlich nicht die nötige Kondition aufweist. Zeitz und Andersson wechselten sich ab auf der wegen Stefan Lövgrens Ausfall verwaisten Spielmacherposition. Wenn Kiel sich weitaus besser schlug, als viele Experten vor der Partie erwartet hatten, lag das aber vor allem an der sehr beweglichen und aufmerksamen 6:0-Abwehrformation des THW, die den Flensburger Halbspielern Blazenko Lackovic und Marcin Lijewski eine ganze Serie von Bällen abkauften. Dahinter stand mit Keeper Thierry Omeyer ein sehr guter Torwart. So kam Kiel per Tempogegenstoß zu vielen leichten Toren.
Nach einer 12:10-Halbzeitführung schien das Team einem souveränen Sieg entgegenzustreben. Da in der zweiten Halbzeit auch der Kieler Topwerfer Nikola Karabatic (acht Tore) besser zielte, führte der THW nach 37 Minuten beim 19:14 (Dominik Klein) gar mit fünf Treffern - bis der Kopftreffer von Zeitz die Stimmung kippte und der Gastgeber mit der letzten Luft kurz vor Schluss noch einmal in Führung ging: Dänemarks Rekordnationalspieler Lars Christiansen, mit neun Treffern bester Schütze seines Teams, traf 14 Sekunden vor Schluss zum 28:27.
Am Ende reichte es dennoch nicht mehr zum Sieg, da der schwedische Nationalmannschaftskapitän Kim Andersson zwei Sekunden vor ultimo einen mächtigen Sprungwurf in die Maschen des Flensburger Gehäuses hämmerte. "Mit sieben gesunden Feldspielern und einem Handball-Rentner ein Unentschieden in Flensburg, das ist ein gutes Resultat", freute sich Serdarusic, "Flensburg hatte einen schlechten Tag. Wer am Sonntag den Pott in der Hand hält, ist noch lange nicht entschieden".
Auch Flensburgs Trainer Andersson war "nach diesem Spielverlauf mit dem Resultat zufrieden" und hat die Hoffnung auf den ersten Flensburger Champions League-Sieg noch nicht aufgegeben: "Ich bin weiter optimistisch." Auch SG-Manager Thorsten Storm blies in das gleiche Horn: "Heute feiern die Kieler schon, ich will nächsten Sonntag feiern."
Quelle: http://www.spiegel.de