Bundestagswahl 2013

  • Ich weiß noch nicht, was ich von dem Ergebnis halten soll.


    - Befremdlich, dass etwa 42 Prozent fast für eine absolute Mehrheit gereicht hätten. Da stimmt doch etwas mit dem Wahlsystem nicht.


    Das heisst im Umkehrschluss: Die "Fünf-Prozent-Hürde ist zu hoch", da dadurch zu viele Stimmen keine Wirkung erzielen.


    Mit einer "3-Prozent-Hürde" (ähnl. Europa-Wahl) wären bei der gestrigen Wahl 47 % erforderlich für die absolute Mehrheit. Das klingt eigentlich besser, aber mit der Folge, dass sechs Parteien im Bundestag vertreten wären.

    Ein Mensch möcht' erste Geige spielen - jedoch das ist der Wunsch von vielen,
    So dass sie gar nicht jedermann, selbst wenn er´s könnte, spielen kann:
    Auch Bratsche ist für den der´s kennt, Ein wunderschönes Instrument.

  • AfD hat ja von allen Parteien abgezwackt, lustigerweise insbesondere von schwarzgelb und den Linken.


    Die Gruenen konnten ihr Steuerkonzept nicht unter die Leute bringen, dazu kamen dann die dunklen Schatten der Vergangenheit und der Veggi-Day.
    Das Volk hält lange still, aber wenn man ihnen ans Essen geht, wird´s kritisch.
    Das ist sogar psychologisch ergruended. Wenn jemand die Ernährungsweise kritisiert, wird das vom Kritisierten unbewusst als Beleidigung seiner Mutter aufgefasst. Und das geht bekanntermassen gar nicht.


    Mag ja durchaus sein. Finde aber schon interessant, wie viele der potentiellen Grünenwähler dann in "öffentlichen Einrichtungen" ihr Kantinenessen beziehen würden, wenn es wirklich einen Einfluss hat. Das Thema Veggie-Day zeigt einfach nur die Einflussnahme durch Medien wie Bild deutlich auf.


    Die Ströme für die AfD waren schon im Vorfeld klar. Da zeigt sich einfach bei den Linken einfach nur wieviel Prozent Protestfehler sie hatten.

    Original von rro.ch
    Beliebte Sportarten aber auch Randsportarten wie Handball kommen beim Publikum an.


  • Mag ja durchaus sein. Finde aber schon interessant, wie viele der potentiellen Grünenwähler dann in "öffentlichen Einrichtungen" ihr Kantinenessen beziehen würden, wenn es wirklich einen Einfluss hat. Das Thema Veggie-Day zeigt einfach nur die Einflussnahme durch Medien wie Bild deutlich auf.


    Die Ströme für die AfD waren schon im Vorfeld klar. Da zeigt sich einfach bei den Linken einfach nur wieviel Prozent Protestfehler sie hatten.



    die grünen haben schon einen hohen anteil ihrer wählerschaft im staatsdient, aber den "misserfolg" nun einzig und hauptsächlich mit dem veggie-day zu erklären ist zu kurz gesprungen, die grünen haben sich einfach zu sehr nach links bewegt um für weite teile ihrer gut verdienenden urbanen wählerschaft attraktiv zu bleiben - zudem fehlt das exklusivthema, womit der ein oder andere darüber hinwegsehen könnte, dass er zur erreichnung dessen dann auch ne linke kröte schlucken muss

    woo woo woo - you know it, bro


  • Linke: Haben noch zu sehr mit dem Ossi- und Ex-SED Image zu kämpfen, haben der SPD aber wohl einige entscheidende Prozentpunkte bei deren ehemaliger Stammwählerschaft gekostet.

    Das ist nicht ganz richtig. Die Linke hat ihre Verluste dieses Mal insbesondere im Osten (also bei den "Ossis") eingefahren, je nach Bundesland zwischen knapp drei (Sachsen) und über sechs Punkten (Sachsen-Anhalt)*. Das ist nicht weiter verwunderlich, weil sie ja bisher auch die meisten Stimmen aus dem Osten erhalten hatte. Im Westen, wo die Linke mancherorts vielleicht wirklich noch skeptisch als "Ostpartei" oder "SED-Nachfolger" gesehen wird - was im Osten gänzlich anders ist, s.u. - halten sich die Verluste für die Linke dagegen in Grenzen (NRW, Hessen je um 2 Punkte). Gewinner im Osten ist wie überall klar die CDU, die in allen "neuen" Ländern zwischen sieben und zehn Punkten gewonnen hat.


    Wenn man die Wahlkreisergebnisse 2009/2013 vergleicht, kann man das klar sehen. 2009 war der halbe Osten noch rot (Linke/SPD), in diesem Jahr gibt es nur in Ost-Berlin noch rote Inseln (Zweistimmenergbnis, stärkste Partei), der ganze Rest ist schwarz. 2009 hat die Linke zehn Direktmandate in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen gewonnen, dieses Jahr keines mehr, die wanderten allesamt(!) zur Union, das gleiche gilt bis auf Steinmeiers Wahlkreis in Potsdam auch für die SPD-Direktmandate (2009: 5, 2013: 1).


    Daß die Linke mit einem "Ossi/SED-Image" zu kämpfen hätte, ist außerdem eine sehr westdeutsche Sichtweise. In NRW oder Baden-Württemberg mag das so sein. Hier im Osten wird die Partei dagegen zwar zum Teil als Klientelpartei für den Osten wahrgenommen und wirbt auch so, das wird hier aber natürlich in der Regel nicht negativ aufgefasst. Die SED-Vergangenheit spielt aber eigentlich überhaupt keine Rolle mehr, zumal davon auch programmatisch ja bei der Ost-Linken nicht mehr viel übrig ist, personell praktisch gar nichts mehr. Viel problematischer wird hier der Einfluß der Ex-WASG'ler aus dem Westen gesehen, die als eigentlich störende Radikalinskis und Spinner wahrgenommen werden. Die hiesige Linke wird dagegen als eine pragmatische und bürgernahe Partei angesehen, was sie zumindest auf lokaler Ebene auch ist. Die Linke regiert in vielen Stadträten mit - und zwar nicht als Ein-Mann-Fraktion, hier in Chemnitz zum Beispiel hat die Linke die letzte Kommunalwahl als stärkste Partei gewonnen (22,2 %) - und ist hier viel mehr "Volkspartei" als die SPD, und das kann man auch am Wahlergebnis von Gestern so ablesen - der Wechselwähler entscheidet sich hier nicht zwischen CDU und SPD, sondern zwischen CDU und Linke. Beim nächsten Mal kann das wieder anders aussehen.


    * Dazu mehr als die Hälfte im Saarland (knappe zehn Punkte minus), das die "Oskar-Insel" der Linken im Westen ist, respektive war

  • Das vorläufig amtliche Endergebnis ist ja schon allgemein durchgesickert ;)


    Direktmandate:


    CDU: 191 SPD 58 Linke 4 Grüne 1 CSU 45


    Interessant hier der Blick auf die 28 "Ausgleichsmandate", die sich nun an der CSU orientieren mussten, da die Zweitstimmenkampagne der FDP ausblieb.


    CDU 13 SPD 9 Linke 4 Grüne 2 CSU 0


    Die Linke ist und bleibt eine Ost-Partei, die FDP spielt nur im Westen eine Rolle. Gleiches gilt für die Grünen. Gerne hätte ich mal eine derartige Karte für die AfD gesehen. ;)

    Original von rro.ch
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  • Gerne hätte ich mal eine derartige Karte für die AfD gesehen. ;)

    Guckst Du hier: Süddeutsche (links Zweitstimmen und dann Partei auswählen). Die AfD hat vor allem auf so einem Streifen vom Spessart über Thüringen, das Erzgebirge, der Lausitz bis Niederschlesien - wo sie auch das höchste Einzelergebnis (8,2 % WK Görlitz) verzeichnet - abgeräumt, nach Bundesländern vor allem hier in Sachsen, wo sie auch massiv geworben haben. Auffällig ist, daß es viele Überschneidungen bei den stärksten Wahlkreisen von AfD und NPD gibt: Mecklenburg, Niederschlesien, Lausitzen, Osterzgebirge, Sächsische Schweiz... in den östlichen Bundesländern sind die Karten für beide Parteien fast deckungsgleich schattiert (mal zwischen NPD und AfD hin- und herklicken)


    Ich glaube übrigens, wir können den Thread hier mal ein paar Monate warmhalten, denn ich fürchte, daß das nicht die letzte Bundestagswahl in diesem Jahr gewesen sein könnte. Das Procedere, wenn keine Koalition zustande kommt: Der Bundespräsidentenvorschlag (der Präsident schlägt gemäß Art. 63 GG zunächst dem Bundestag eine/n Abgeordnete/n formal zur Wahl zum/zur Bundeskanzler/in vor, das wird auch dieses Mal ziemlich sicher Frau Merkel sein) wird am 22./23.Oktober im Bundestag abgestimmt, wenn keine Mitgliedermehrheit (= mind. 316 Stimmen) für den Vorschlag zu Stande kommt, sind zwei Wochen Zeit (= bis 4./5. November), in denen der Bundestag irgendeine/n Abgeordnete/n mit Mitgliedermehrheit zum/zur Kanzler/in wählen kann. Findet das nicht statt, muß nach Ablauf dieser 14 Tage "unverzüglich" ein weiterer Wahlgang stattfinden. Dabei wird auf jeden Fall jemand zum/zur Kanzler/in gewählt, denn dafür reicht in diesem Durchgang die einfache Mehrheit. In diesem Fall hat der Bundespräsident aber Entscheidungsfreiheit, ob er die so zu Stande gekommene Wahl (de facto eine Minderheitsregierung) akzeptiert oder den Bundestag auflöst und Neuwahlen anordnet (wird der/die Kanzler/in jedoch in diesem Wahlgang mit Mitgliedermehrheit gewählt, muß der Bundespräsident den/die gewählte/n zum/zur Bundeskanzler/in ernennen). Wohlmöglich stehen wir also im Dezember oder Januar wieder an der Urne.

  • Halte ich auch durchaus für denkbar, weil sich kein möglicher Koalitionspartner aktuell einen Gefallen tun würde. Wäre dann die Frage, was die Konsequenz wäre


    a) Das schnelle Comeback der Biene Maja dank einer dann erfolgreichen Zweitstimmenkampagne
    b) Eine absolute Mehrheit für CDU/CSU
    c) Eine neue Koalition (Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün), weil man dann doch den Wahlkampf "zum Wohle des Volkes" anders führt.

    Original von rro.ch
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  • Ich würde wetten das alles auf eine große Koalition hinausläuft (ohne Steinbrück !?). Auch wegen der SPD-Mehrheit im Bundesrat. Wie lange diese dann allerdings hält bleibt auch fraglich.............

  • Nachdem die Skorpionfrau Angie schon zwei Ehemänner verspeist hat, wären jetzt eigentlich die Grünen dran. An eine Neuwahl kann ich nicht glauben. Grüne und SPD würden große Argumentationsprobleme bekommen und Angst vor Regierungsverantwortung signalisieren. Außerdem wäre das eine unverhoffte Chance auf ein FDP-Comeback. Das werden SPD und Grüne nicht wollen. Schwarz-Grün hätte Charme. Die Grünen müssten sich mit maximal 3 Ministerien begnügen und könnten sich mit der Energiewende an ihrer vermeintlichen Kernkompetenz versuchen. Zudem hat der Grünenwahlkampf gezeigt, dass der Grünenstammwähler konservativer und bürgerlicher ist als von den Grünen selbst vermutet.
    Allerdings ist das an der Grünenbasis wohl nur schwer zu vermitteln und würde zu Massenaustritten führen.


    Ich gehe auch von einer großen Koalition aus, aus welcher die SPD am Ende wiederum beschädigt herausgehen wird.

  • Halte ich auch durchaus für denkbar, weil sich kein möglicher Koalitionspartner aktuell einen Gefallen tun würde. Wäre dann die Frage, was die Konsequenz wäre


    a) Das schnelle Comeback der Biene Maja dank einer dann erfolgreichen Zweitstimmenkampagne
    b) Eine absolute Mehrheit für CDU/CSU
    c) Eine neue Koalition (Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün), weil man dann doch den Wahlkampf "zum Wohle des Volkes" anders führt.

    Ich denke, die Union würde in diesem Fall alle anderen Parteien, v.a. die SPD, als böswillige Verhinderer einer Regierungsbildung darstellen. Und von der - nach dem gestrigen Wahlergebnis zu urteilen offensichtlich weithin eingedämmerten und/oder BILD-Propaganda beeinflußten - breiten Bevölkerung wird der Spielverderber abgestraft werden. Folge: Adenauer-Ergebnis oder Biene Majas Rückkehr.

  • Ich gehe auch von einer großen Koalition aus, aus welcher die SPD am Ende wiederum beschädigt herausgehen wird.

    Das würde sich zeigen müssen. Ich bin mir da gar nicht mal so sicher, weil die SPD ja noch die Bundesratsmehrheit in Petto hat. Zu befürchten ist dann allerdings, das man sich innerhalb einer großen Koalition in Grabenkämpfe verwickeln könnte, was zu einem weiteren Stillstand in der Politik führen würde. Was wiederum früher oder später doch Neuwahlen heißen könnte. Ich denke mal es wird ziemlich spannend in nächster Zeit.

  • Spannend wird es auf jeden Fall, ich glaube aber nicht, daß die SPD in den nächsten zehn, zwanzig Jahren nochmal am großen Rad drehen wird. Schröders Agendapolitik hat der Partei auf Jahrzehnte geschadet. Man darf sich mal die absoluten Stimmen der letzten fünf Bundestagswahlen ansehen, dann wird klar, wie das schrödersche Erbe für die Partei aussieht (Zahlen gerundet):


    1998 Gültige Zweitstimmen gesamt: 49,17 Mio. / SPD+Grüne 24,0 Mio. / Union + FDP 20,8 Mio.
    2002 Gültige Zweitstimmen gesamt: 47,84 Mio. / SPD+Grüne 22,6 Mio. / Union + FDP 22,3 Mio.
    2005 Gültige Zweitstimmen gesamt: 48,07 Mio. / SPD+Grüne 20,0 Mio. / Union + FDP 21,7 Mio.
    2009 Gültige Zweitstimmen gesamt: 43,37 Mio. / SPD+Grüne 14,6 Mio. / Union + FDP 20,9 Mio.
    2013 Gültige Zweitstimmen gesamt: 47,66 Mio. / SPD+Grüne 14,9 Mio. / Union + FDP 20,2 Mio.


    Das Stimmaufkommen für schwarz/gelb ist also nahezu konstant über die letzten fünfzehn Jahre, während Rot/Grün seit Schröders erster Wahl zehn Millionen oder 40% seiner Wählerschaft eingebüßt hat. Die SPD hat dabei satt die Hälfte ihrer Wähler verloren (21,5 Mio. 1998, 11,1 Mio. gestern, 2009 sogar uner 10 Mio.)


    Merkels Märchen von der "gut überstandenen Krise", durch das sie das Land ruhiger Hand gesteuert habe, verfängt scheinbar bei einem Gutteil der saturierten Bevölkerung. Dabei steht das Land heute bei nüchterner Betrachtung genauso beschissen da wie am Ender der Schröderzeit. Daß Mercedes Benz, Bayer oder Heckler & Koch satte Exportgewinne schreiben, ändert daran ja nichts. Immer noch gibt es fast drei Millionen Arbeitsloseund fast vier Millionen "unterbeschäftigte" (Zeitarbeit, Teilzeitjobs, 450 €-Jobs usw) im Land, gut sechs Millionen Menschen beziehen Leistungen nach Hartz IV(ohne ALG I-Bezieher).


    Das Problem dieser Menschen ist, daß es nach dem Ausfall der SPD seit der Schröderzeit bis auf die Linke keine Partei mehr gibt, die wenigstens programmatisch für sie eintritt. Union und FDP gehörten dazu noch nie, und SPD und Grüne haben vielen dieser Leute ihr Schicksal, in der lebenslangen Minijob-Zeitarbeits-Schleife zu hängen - was eine direkte Folge der Hartz-Reformen ist, nicht einmal Hartz4 geschuldet, sondern insbesondere den ersten beiden Paketen, welche die Minijobrotation und Zeitarbeit subventionieren - erst eingebrockt.


    Eine größere realistische Chance, da jemals wieder heraus und in den ersten Arbeitsmarkt hineinzukommen besteht erst, wenn diese "Regulierungsmaßnahmen" mit Zwangsvermittlung in geringfügige Beschäftigung und sinnlosen Fortbildungen in Dauerschleife ("Bewerbungstraining"), die den Betroffenen die Gelegenheiten rauben, sich für den ersten Arbeitsmarkt zu empfehlen und sie nebenbei für diesen auch noch stigmatisieren, wieder aufgehoben werden. Das will aber keine der fünf großen Parteien außer der Linken, für andere Gruppierungen wie AfD u.s.w. ist das gleich gar kein Thema.


    Die Linke ist vielen im Westen suspekt - ob berechtigt oder nicht sei dahingestellt - und so bleiben diese Leute einfach zu Hause, weil sie sich von einer Wahl keine großartigen Veränderungen mehr erhoffen oder wählen irgendeine obskure Splitterpartei. Ob Griechenland gerettet wird, wie es um den politischen Zustand der EU bestellt ist oder Deutschland auch nächstes Jahr wieder Exportweltmeister wird, ist dem Großteil der klassischen SPD-Stammwählerschaft glaube ich herzlichst wumpe. Wenn die Partei sich nicht schleunigst wieder dahin bewegt, wo sie hingehört (nämlich nach links) wird mit ihr auf Jahrzehnte kein Staat mehr zu machen sein (im reinsten Wortsinn).

  • Hier mal ein Schaubild zur Wählerwanderung:


    Wählerwanderung bei der Bundestagswahl 2013 | ZEIT ONLINE





    Das unterschreibe ich so 1:1. :hi:

  • Die Linke regiert in vielen Stadträten mit - und zwar nicht als Ein-Mann-Fraktion, hier in Chemnitz zum Beispiel hat die Linke die letzte Kommunalwahl als stärkste Partei gewonnen (22,2 %) - und ist hier viel mehr "Volkspartei" als die SPD, und das kann man auch am Wahlergebnis von Gestern so ablesen - der Wechselwähler entscheidet sich hier nicht zwischen CDU und SPD, sondern zwischen CDU und Linke.


    Dem kann ich nur zustimmen. Die SPD hat niemals versucht den Osten richtig für sich zu gewinnen und ist mit hier Sicherheit keine Volkspartei. Im Osten lag die Linke in den fünf Bundesländern bei dieser Wahl viermal an zweiter Stelle (Brandenburg: Linke 22,4 / SPD 23,1; Mecklenburg-Vorpommern: Linke 21,5 % / SPD 17,8 %; Sachsen: Linke 20,0 % / SPD 14,4 %; Sachsen-Anhalt: Linke 23,9 %/ 18,2 %; Thüringen: Linke 23,4 % / SPD 16,1%). Im Osten (den Ostteil von Berlin nicht mitgerechnet, weil Wahlkreise „grenzübergreifend" waren) haben 304 783 mehr Wähler die Links-Partei als die SPD gewählt. Wichtig ist vielleicht auch noch zu erwähnen, dass die Linke im Osten in der Regel junge, gebildete (Juristen sind da in der Minderheit und nicht "Voraussetzung"), unverbrauchte und unbelastete Personen (bezüglich Skandale) ins Rennen schickt. Da hat sie anderen Parteien viel voraus.



    Ein Mensch möcht' erste Geige spielen - jedoch das ist der Wunsch von vielen,
    So dass sie gar nicht jedermann, selbst wenn er´s könnte, spielen kann:
    Auch Bratsche ist für den der´s kennt, Ein wunderschönes Instrument.

  • Nun ja, die SPD hat durch ihren damaligen Oskar-Vorsitzenden ja auch "dem Osten" zu verstehen gegeben, daß er lieber hinter einer Staatsgrenze bliebe.


    Ich bin ja kein Grünen-Insider, aber ich denke, der Knacks bei der Wählerschaft kam nicht erst mit der Pädophilie-Debatte auf (die Volker Beck aber dann doch zurecht hinweggerafft hat) oder dem Veggie-Day, sondern schon viel früher. Da hat man den Sieg in Baden-Württemberg nicht nur gar nicht auf Bundesebene nutzen können, sondern ihn auf naivste Art und Weise verspielt. Wenn ich mich daran erinnere, wie man Kretschmann dort blamiert hat bzw. dieser sich am Ende selbst noch. Die Grünen mögen vielleicht noch eine 5%-Stammwählerschaft in den monetär unteren Schichten der Republik haben, aber gerade im "Mittelklasse"-Segment und auch in der Beamtenschaft hat sie das Potential für fast 20% gehabt. Das hat sie durch ihre unsägliche "Gib-doch-mal-was-ab" Kampagne verspielt.

  • Nun ja, die SPD hat durch ihren damaligen Oskar-Vorsitzenden ja auch "dem Osten" zu verstehen gegeben, daß er lieber hinter einer Staatsgrenze bliebe.

    Das stimmt ja so nun auch nicht. Oskar hat als Kanzlerkandidat 1990 darauf hingewiesen, daß die Wiedervereinigung eben nicht so billig zu haben und so reibungslos zu realisieren sein wird, wie Kohl, die Union und die FDP dem Volk weismachen wollten. Und damit hat er in der Nachbetrachtung ja wohl auch recht gehabt, denn die Kosten sind explodiert, die Ost-Wirtschaft ist den Bach runter gegangen und die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist explodiert. Das war zwangsläufig so, weil die DDR-Wirtschaft gnadenlos heruntergewirtschaftet und technologisch auf dem Stand der späten sechziger Jahre stehengeblieben war - vgl. zu den Ursachen Ulbrichts NÖP vs. Honeckers 'Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik'* - und die Infrastruktur sich teils noch auf kurz nach Nachkriegsniveau befand. Dazu kamen natürlich die vielen mißlungenen und vielfach fragwürdigen Abwicklungen durch die Treuhandgesellschaft (die zum Teil wiederum ihre Ursache in dem Zustand der Produktionsbetriebe hatten) und das völlig versemmelte "Aufbau Ost"-Programm mit nicht rückzahlbaren Kurzzeitsubventionen (das viele westliche Investoren geradezu dazu verleitet hat, die fünf Jahre Übersubventionierung mitzunehmen und dann den Laden wieder zuzumachen).


    Um den Zustand der DDR-Wirtschaft wußten aber auch die Unions- und FDP-Granden schon im Wahlkampf 1990, sie haben es jedoch bekanntlich so hingestellt, als wäre nach fünf Jahren alles blühende Landschaft. Lafontaine hat dagegen völlig berechtigt auf die Schwierigkeiten und hohen (auch sozialen) Kosten einer schnellen Wiedervereinigung verwiesen, aber das wollte in Ost und West ja damals niemand hören. Die beiden Slogans, mit der die Union zur letzten Volkskammerwahl im März 1990 angetreten ist, lauteten "Wiedervereinigung jetzt!" und "D-Mark jetzt!". Und damit haben sie (übrigens unter der Bündnisbezeichnug "AfD"**...) 48 % geholt. Das zeigt, worum es den Leuten damals ging, und warum mit Warnungen kein Blumentopf zu gewinnen war.


    Oskar Lafontaine jetzt zu unterstellen, er hätte die Mauer damals am liebsten nachbefestigt, wird der Sache nicht gerecht. Man kann ihm vieles nachsagen, ich bin mit seinem Werdegang und vielen seiner Äußerungen in den letzten fünfzehn Jahren auch nicht einverstanden, aber das stimmt einfach nicht. Er wollte eine bedachtere und langsamere Herangehensweise, das bedeutet nicht, daß er oder die SPD die Wiedervereinigung grundsätzlich abgelehnt hätten. (Im Falle einer Regierungsbeteilung - um die es ja ging - wäre das außerdem verfassungswidrig gewesen - vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 zum Grundlagenvertrag, Az. 2 BvF 1/73).


    Die Fehler bei der Wiedervereinigung hat schwarz/gelb gemacht, nicht rot/grün. Rot und Grün haben dann anschließend noch den verbliebenen Rest des altbundesrepublikanischen Sozialstaatsgedankens beerdigt und damit auch das ausgeprägte soziale Sicherheitsbedürfnis vieler Ostdeutscher verletzt, wodurch insbesondere die SPD hier nun noch weniger zählt als bis 2002. Das ist aber nicht Oskar schuld, sondern Gerd.


    * Die NÖP (Neue Ökonomische Politik) war ein von Ulbricht in den sechziger Jahren angestoßenes Wirtschaftsprogramm, mit dem die Produktionswirtschaft der DDR durch marktwirtschaftlichere Methoden modernisiert werden sollte (-> 'Überholen ohne einzuholen'). Das war zwar recht erfolgreich angelaufen, wurde aber von Anfang an von den Ökonomen in der SED ideologisch scharf angegriffen und 1968/69 wieder aufgegeben. Honecker hat dann der DDR-Wirtschaft mit seiner 'Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik' den Rest gegeben, mit der erst der allgemeine Lebensstandard gehoben werden sollte und auch wurde, allerdings auf Pump. Die technologische Nachrüstung vieler Produktionsstätten war dadurch aber dann nicht mehr bezahlbar, weil die raren Devisen für Orangen und Kaffee ausgegeben wurden, wodurch viele Produktionsbetriebe in der DDR technologisch schlicht bis zum Ende auf dem Stand der späten sechziger Jahre stehen geblieben sind. Dazu kommt die fatale Exportpolitik, durch die kaum Devisen eingespielt wurden, aber die besten Produkte aus DDR-Produktion trotzdem ins Ausland wanderten. Die Reichsbahn fuhr noch 1989 mit Wagen aus den vierziger Jahren, während die modernen Waggons, die zum Beispiel in Dessau durchaus produziert wurden, in die Sowjetunion verkauft wurden (werden mussten. Dafür gab's von dort biliges Rohöl, das man nach Aufbereitung in Schwedt als billiges Benzin in die Bundesrepublik verscherbelt hat. Falls sich also noch mal jemand über die heutigen Benzinpreise wundert...der günstige Lieferant aus der guten alten Zeit ist längst einverleibt).


    ** Allianz für Deutschland, ein Wahlbündnis aus CDU, DSU und Demokratischer Aufbruch

  • Dazu fällt mir mein Vater (CDU-Stammwähler) ein: 1990, Fernsehauftritt Oskar mit den von Hereticus beschriebenen Bedenken gegen eine schnelle Wiedervereinigung. Kommentar Daddy: "So ein Depp!" Ich: "Aber er hat doch recht, oder?" Daddy: "Natürlich, aber man ist doch nicht so blöd und sagt das vorher. Oder will der keine Wahl gewinnen?" ;)

  • Du hast in Deiner umfassenden Analyse natürlich recht, Hereticus. Aber in der Kurzform war damals der Eindruck vieler Menschen, Oskar spräche für eine Partei, die eine Wiedervereinigung nicht wolle. Das wird aber natürlich Parteifreunden wie Brandt und vielen anderen nicht gerecht. So meinte ich meinen Einzeiler in diesem Zusammenhang.


    Den Förderwahnsinn bzw. seine Auswirkungen kann man heute noch sehen, wenn nun mal wieder eine große Baumarktkette den Bach herunter geht. Man hat nach der Wende gesagt, daß aufgrund verfehlter Steuerpolitik im Osten eine Fläche an Baumärkten gebaut wurde, die den rechnerischen Bedarf - ohne die Abwanderung so vieler Einwohner - schon um das Dreifache überstieg.


    Das hat aber mit der Bundestagswahl nun auch nicht mehr so viel zu tun.


    Die einzige Partei, die den Soli abschaffen wollte, sitzt ja nun in der APO. :)

  • Interesanter Artikel in der FR zum Thema Regierungsbildung: Leitartikel zur Bundestagswahl
    Eine Minderheitenregierung hat in der Theorie durchaus sehr intessante Aspekte zu bieten. Es müßte mal wieder Politik gemacht werden - aber in Zeiten mit Politikern bei denen in demokratischen Abstimmungen ein zweiter Kandidat schon kein demokratischer Vorgang sondern eine Kampfkandidatur ist wird das wohl nicht funktionieren...

    • Offizieller Beitrag

    Rein theoretisch (!) wäre auch eine Koalition zwischen CDU und SPD ohne CSU denkbar. Streitthemen wie Abschaffung des Betreuungsgeldes, Maut und wohl auch letztlich der Mindestlohn wären damit vom Tisch. Und Seehofer wäre auf ein Normalmaß zurechtgestutzt. Eine Variante, die zumindest im Norden als charmant empfunden werden könnte. :D

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